Festival Musica Sacra 2022 in Münster
Ein Bogen von der Dunkelheit zum Licht
Münster, WN 07.Juni 2022
In Münsters Paulusdom eröffneten Golo Berg, das Sinfonieorchester Münster, Konzertchor und Philharmonischer Chor das viertägige Festival „Musica Sacra“. (Matthias Ahlke)
Von Christoph Schulte im Walde
MÜNSTER Gegen Ende von Joseph Haydns großem Oratorium „Die Schöpfung“ preist der Engel Uriel das Glück des jungen Paars Adam und Eva. Das aber habe nur Bestand, „wenn falscher Wahn euch nicht verführt, noch mehr zu wünschen, als ihr habt, und mehr zu wissen, als ihr sollt!“ Ob dieser gute Rat nicht auch einer für heute, für das 21. Jahrhundert mit seinem oft so falschen Wahn wäre? Aber diesem Gedanken voraus geht eine musikalische Erzählung, mit der am Freitag in Münsters Paulusdom das viertägige Festival „Musica Sacra“ festlich eröffnet wur- de. Joseph Haydn illustriert die Erschaffung der Welt mit einer Musik, die man schon so oft gehört hat, von der man sich aber immer wieder aufs Neue faszinieren lassen kann. Golo Berg, das Sinfonieorchester Münster, Konzertchor und Philhar- monischer Chor mobilisierten alle Kräfte der Suggestion, um plastische Bilder greifbar werden zu lassen.
Von der „Ursuppe“ geht es bei Haydn Schritt für Schritt, Tag für Tag weiter bis zur Erschaffung der „Krone der Schöpfung“. Ein Weg, den die Vokalsolisten Marielle Murphy, Youn-Seong Shim und Gregor Dalal mit großer Intensität nachzeichnen. Da erklingt „der Lerche frohes Lied“, Insekten verbreiten sich „in Schwarm und Wirbel“, dann kommt der Mensch in die Welt, „gen Himmel aufgerichtet“. Murphy, Shim und Dalal sind die perfekten Sängerdarsteller, die der Botschaft durchaus et- was Opernhaftes beimischen, was der Musik sehr gut bekommt, wenn nicht sogar ihr innewohnt. Golo Berg wählt straffe Tempi, die von den beiden Chören agil auf- genommen werden („Stimmt an die Saiten“). Das Orchester spannt den Bogen von Dunkelheit zum Licht, wartet auf mit exquisiten Farben von Kontrafagott bis zur Flöte – eine durch und durch „runde Sache“. Und dies in der durchaus schwierigen, für sämtliche Ausführenden alles andere als gewohnten Akustik des Paulusdoms. Das war eine Meisterleistung!
Haydns „Schöpfung“, vor allem die Dichtung Gottfried van Swietens, mag heutzu- tage womöglich etwas naiv wirken. Aber diese große Erzählung könnte Anlass sein, dass der Blick auf unseren Planeten und die Menschheit vielleicht ein klein wenig demütiger wird, dem Auftrag folgend, die Schöpfung zu bewahren. Es wäre schade, wenn nicht gar eine Katastrophe, würde die Welt in jenem Chaos enden, mit dem Joseph Haydn sein Oratorium beginnen lässt.